Freimaurerei – Der Menschlichkeit verpflichtet

Das gesamte Brauchtum geht zurück auf die Steinmetzbruderschaften und Dombauhütten des Mittelalters. Als aber eines Tages keine großen Kirchen mehr zu bauen waren, schlossen sich die Maurer der großen Dom-Bauhütten mit der Absicht zusammen, das Bauen mit Mauersteinen auf das Geistige zu übertragen, „am Bau der Humanität“ zu arbeiten. Das erklärt auch, warum bis heute Bauwerkzeuge Zirkel und Winkelmaß die Symbole der Freimaurer sind.

Ungleiche Brüder

Wer „Bruder“ einer Freimaurerloge werden will, darf kein egoistischer Materialist sein, sondern ein „reifer und innerlich freier Mann“. Mitglieder sind also Männer, die bereit sind die Logenregeln der Ordnung zu beachten. Das waren in der Vergangenheit nicht wenige große Männer, etwa George Washington, Friedrich der Große, Tucholsky, Mozart, Lessing, Goethe, der erste Baden-Württem-bergische Ministerpräsident Reinhold Maier oder sein hessischer Kollege Holger Börner ebenso wie der Historiker Golo Mann.

Doch die Struktur der Mitglieder hat sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Während früher die deutschen Fürstenhäuser für Zulauf sorgten und die Mitglieder aus staatstragenden Schichten kamen, ist das heute anders. Die neueste Untersuchung sagt aus: die Mitglieder der Logen sind zu 44% Vertreter der selbständigen Berufe, zu 43% Angestellte und zu 13% Beamte.

Können wir der Weltwirklichkeit mit all ihrer Menschenverachtung ein Menschenbild entgegenhalten, das sich an Versöhnung, Friedfertigkeit und gegenseitiger Achtung orientiert?

Der Denker, Zeitkritiker, Publizist und Freimaurer Ludwig Borne (l786 – 1837) hat dieses Menschen­bild von Versöhnung, Friedfertigkeit, Verständi­gung und gegenseitiger Achtung vor 200 Jahren gewissermaßen archaisch begründet:

Als Gott die Welt erschuf, da schuf er den Mann und das Weib. Nicht Herren und Knechte, nicht Juden und Christen, nicht Arme und Reiche. Darum lieben wir den Menschen, sei er denn Herr oder Knecht, arm oder reich, Jude oder Christ.“

– Oder Moslem oder sonst was, möchte ich hinzufügen. Das heißt nicht, dass wir alle gleich sind, aber im mensch­lichen Sinn, und wenn es das gibt, in der göttlichen Absicht, gleichberechtigt „als Menschen unter Menschen. Arme und Reiche, Herren und Knechte, Juden, Moslems, Christen usw., wie sie Borne anspricht.

Gleichberechtigt leben – aber wie?

Gleichberechtigt, das meint: Einander ertragen, erdulden. Füreinander da sein. Miteinander leben, miteinander aus­kommen und das Beste daraus machen. So schlicht wäre das eigentlich. Aber es ist auch jedem bewusst, dass dieses Mit-einander-leben-mit-einander-auskommen das Schwierigste überhaupt ist, und dass alle Konflikte in der Welt, die kleinen wie die schrecklichen großen, ihre Ursache darin haben, dass das Miteinander nicht funktioniert. Hier projiziert die Freimaurerei gleichsam ein Idealbild gegen die Realität und sagt:

Was wir brauchen ist Menschlichkeit. Absichtsfreie Menschlichkeit. Eine Menschlichkeit, die von keinem, wie immer gearteten Fraktionszwang bestimmt ist, die auf keinem, wie immer gearteten Fundamentalismus auf­baut, sondern nur den Menschen selbst meint. Den Menschen und seine Würde“.

Die Konfliktfelder dieser globalen Betrachtung sind bedrückend deutlich: Wettstreit der Kulturen und Religionen, Besitz- und Anspruch-Denken auf der einen, die Ohnmacht, Hilflosigkeit und Abhängigkeit auf der anderen Seite. Die Kluft zwischen Arm und ReichUngleichgewichte, wo­hin man sieht. Ist Bornes Wort von der allgemeinen Menschen­liebe deswegen tatsächlich Anachronismus? Wenn ja, dann sollten wir uns einen solchen Anachronismus leisten!

Die Loge – eine Übungsstätte wofür?

Die Loge soll das als Übungsstätte für Brüderlich­keit und Humanität sein. Hier kann man im Kleinen mit­einander einüben, was im Großen so selten funktioniert. Hier darf man idealistisch denken, auch wenn die Beseitigung von Konfliktfeldern und von Ungleichgewichten ein Ideal bleibt, so wie das Menschenbild, das sich daran orientiert. Natürlich ist die Vision einer geeinten Menschheit „ohne soziale, konfessionelle und politische Grenzen eine politisch moralische Utopie.“ Sie ist so idealistisch wie das freimaurerische Symbol der Wasserwaage – dem Sinnbild für die gleiche Ebene aller, auf der wir uns begegnen.

Die Freimaurerei – fordert auf wozu?

Das globale Menschenbild der Freimaurer orientiert sich mit Respekt vor gewachse­nen Kulturen und Befindlichkeiten an einer quasi „Solidargemeinschaft Mensch und Menschlichkeit„.

Wenn es diese „Solidargemeinschaft“ gäbe, dann müsste sie eigent­lich verhindern, dass sich irgendeine Interessen­gruppe über die andere erhebt, dass eine ökono­mische oder militärische Dominanz und mit ihr Unterdrückung und Ausbeutung entsteht. Es gibt sie nicht, diese „Solidargemeinschaft“. Es gibt noch nicht einmal die neutrale Weltsicht oder eine objektive Definition ethischer Leitbilder. Die Freimaurerei hat deshalb von Anfang an eine Symbolwelt ausgelegt, die je nach Mentalität, Kulturkreis und Zeitver­ständnis individuell auslegbar bleibt und – das ist das Ent­scheidende – Rücksicht nimmt auf die Unterschiede im Denken, Glauben und Handeln. Dennoch und deswegen müssen sie auf der Wasserwaage koexistieren. Sie müssen sich vertragen, wenigstens aber immer wieder unentmutigt das Miteinander suchen.

Aus Respekt vor der Individualität verzichtet die Freimaurerei auch auf gemeinsame Verlaut-barungen, Satzungen, Partei­programme, Kampfansagen. Eigentlich geht es uns nur um das, was unsere britischen Gründer­väter vor einigen hundert Jahren so gekennzeichnet haben: „To make good men better.“ Aus guten Menschen bessere machen, „…besser im Han­deln und Wandeln, besser im Denken und Fühlen“ (Willem Smitt, 1894). Das heißt: Freimaurerei kann nicht die Welt verbessern, aber sie kann Menschen „besser“ machen und hoffen, dass bessere Menschen am besseren Miteinander für eine bessere Welt arbeiten.

Aus guten Menschen bessere machen  wie sieht dieser Weg aus

Der Sinn und der praktische Nutzen der Freimaurerei soll zweifach wirken:

  • Einerseits individuell nach innen auf den einzelnen Menschen und
  • andererseits zwischenmenschlich nach außen auf die Gesellschaft.

Die nachstehende Grafik verdeutlicht diese zweifachen Bereiche (individuell u. zwischenmenschlich) sowie diese Methode und deren Wirkungen, stellt aber keine weitere Definition der Freimaurerei dar. Dies wird in weiteren Folgen verdeutlicht. Damit der Freimaurer diesen Weg gehen kann, erhebt die Freimaurerei gewisse Forderungen (sie fordert und fördert), deren Erfüllung zu Zielen führt, und zu deren Anwendung eine bestimmte Methode gehört.

Bei den Zielen und bei dieser Methode werden zwei Bereiche voneinander unterschieden:

a) der individuelle Bereich des einzelnen Menschen und

b) der zwischenmenschliche Bereich der Welt.

Das Ziel im individuellen Bereich ist: die Vervollkommnung des Menschen.

Das Ziel im zwischenmenschlichen Bereich ist: eine humanere Welt.

Die Vervollkommnung des einzelnen Menschen wird nach der freimaurerischen Vorstellung erreicht durch Selbstverwirklichung und bewusste Selbstbestimmung.

Eine humanere Welt im zwischenmenschlichen Bereich wird erreicht durch praktizierte allgemeine Menschenliebe und Humanität.

Was die Freimaurerei im Hinblick auf diese Ziele eindeutig fordert, das sind einerseits Selbsterkenntnis und das Bemühen des Einzelnen, die Welt zu verstehen (Weltverständnis) und andererseits die praktizierte Bruderliebe und Toleranz

Nicht mehr so ausdrücklich gefordert (aber doch gefördert) werden Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung sowie allgemeine Menschenliebe und Humanität.

Die Freimaurerei vertraut darauf, dass sich diese Möglichkeiten und Fähigkeiten beim Bruder von selbst entwickeln, wenn Selbsterkenntnis, Weltverständnis und Bruderliebe, Toleranz unter Anwendung der freimaurerischen Methode angestrebt, geübt und erreicht werden.

Eindeutig gefordert wird somit nur das, wozu die Loge unmittelbar auch das Rüstzeug liefert, mit dessen Hilfe die erhobenen Forderungen also auch tatsächlich erfüllt werden können. Dieses Rüstzeug liegt in der freimaurerischen Methode, bei der es sich um die Kombination von zwei Methoden handelt: einerseits die Praktizierung von Ritualen und andererseits die persönlichen Gespräche in der Loge.

Beide (Teil-) Methoden wirken unmittelbar nach innen auf den am Ritual und am persönlichen Gespräch teilnehmenden einzelnen Menschen und über ihn mittelbar nach außen auf die Gesellschaft. Auf diese Weise leistet diese freimaurerische Methode einen Beitrag zur Fortentwicklung des einzelnen Menschen und gleichzeitig zur Fortentwicklung der zwischenmenschlichen Welt. Es handelt sich um einen Beitrag zu einer harmonischen Entwicklung des einzelnen Menschen und um einen Beitrag zu einer friedlichen Entwicklung der Welt. Die freimaurerische Methode dient der Erfüllung der freimaurerischen Forderungen. Sie stellt den praktischen Weg dar, den Freimaurer beschreiten, um den Zielen „Vollkommenheit des einzelnen Menschen“ und „humane Welt“ näherzukommen.